Irmengard Matschunas
Irmengard Matschunas im Gespräch mit Studio Asam
Die Behältnisse, die Irmengard Matschunas schafft, oszillieren zwischen Funktion und Objekt. Mit spitzen Beinen versuchen sie Luft zwischen sich und den Boden zu bringen oder sie walzen einem in Form eines alten Bügeleisens entgegen. Eines sind sie auf jeden Fall nicht: leise. Damit haben sie nichts am Hut genauso wenig wie ihre Schöpferin: Irmengard Matschunas studierte Soziologie, Psychologie und Philosophie in München, sie besuchte Kurse an der Städtischen Fachschule für Buchbinder. Seitdem begleitet sie der Werkstoff Papier bei ihrer Reise durch das Menschsein.
Wer auf der Objektbeschreibung als Werkstoff Papier liest, erwartet erstmal nicht solche stabilen Gebilde. Welche Faszination übt Papier auf Sie aus?
Faszination ist vielleicht das falsche Wort. Ich bin am Papier hängengeblieben. Ich habe alles ausprobiert, aber für mich ist Keramik, Holz oder Metall nicht das Richtige; Pappe und Papier sind es, die für mich das adäquate Mittel zum Ausdruck sind.
Papier ist angreifbar. Es reagiert auf Licht, auf Wasser, es verformt sich. Ist die Fragilität Teil des Programms?
Nein, ganz und gar nicht. Das Grundmaterial ist finnische Holzpappe und durch die Kaschierung wird die sehr stabil. Und Vergänglichkeit ist ein Moment, der ja auch anderen Materialien wie Keramik oder Holz innewohnt. Es ist nur so, dass ich es auch genauso gestalten kann, wie ich es möchte. Ich nutze dafür verschiedene Dekorationstechniken wie den Kammzug, Kleister, Kaltbatik, Malerei, Druck, Stempel. Das schönste Papier kommt aus Japan. Es ist wirklich wunderbar, aber ich will ja keine dekorierten Gegenstände machen. Das interessiert mich nicht. Ich möchte das Papier selbst gestalten. Denn die Frage, die ich mir stelle ist: Wie konstruiere ich ein Objekt im Raum?
Da stehen wir ja auch schon am Grat, auf dem das Kunsthandwerk wandert. Es ist Kunst und Gebrauchsgegenstand, es ist aus dem Kunstbegriff ausgeklammert.
Ja, der Schritt in die freie Arbeit und ins Bildnerische wird bei meinen Schachteln gestoppt durch die Funktionalität. Alles muss zusammenstimmen. Andererseits schere ich mich aber nicht um die normgerechten Maße.
Das ist jetzt eine kühne Aussage: Ich bin eine analytische Person, ich habe Soziologie und Psychologie studiert und in diesem Feld gearbeitet. Mein Part ist es, eine dreidimensionale Geschichte zu erzählen, eine Oberfläche und eine Gestalt zu schaffen, die dem Betrachtenden die Möglichkeit gibt, sie selbst mit Bedeutung zu füllen oder die eigene Geschichte daraus zu machen. Das liegt mir sehr, darüber drücke ich mich aus.

Die Themen, mit denen ich mich auseinandersetze, sind nicht geheim. Das sind Menschheitsfragen, die sich fast jedem von uns in seinem Lebenslauf mal stellen.
Hier trennt sich Ihre Arbeit von der einer Papeterie, die schöne Schachteln für Dokumente, CDs oder anderes herstellt.
Ja, das muss ich schon sagen. Meine Schachteln sind keine, die man sich im Vorbeigehen kauft. Da passt etwas rein, etwas, das nicht jeder sehen kann und soll. Aber diese Räume, die ich da schaffe, die sind auffällig und nicht wohlfeil.
Ihre Objekte sind sehr narrativ. Manche sprechen sogar direkt wie die Schachtel „Choose your battles“. Wie kommen diese Themen zu Ihnen?
Ich kann eigentlich gar keinen richtigen Anfangspunkt ausmachen. Es ist ein Satz, eine Form, ein Fundstück. Es ist ein harter und langwieriger Denkprozess, bis das Konzept meine Gnade findet. Diese Arbeiten muss ich mir entreißen, und das obwohl sie eigentlich Ausgleich und Ergänzung zu meinem Beruf sind. Es ist ein unterbewusster Prozess, dessen Prinzip mir eigentlich immer erst sehr spät einleuchtet. Und manches lege ich auch weg und komme später wieder darauf zurück. Der Bau der Schachteln dauert dann vielleicht drei Tage, aber dann passt die Form noch nicht oder die Oberfläche. Früher habe ich ja sehr viel collagiert, das setze ich aber mittlerweile sehr sparsam ein. Die Themen, mit denen ich mich auseinandersetze, sind nicht geheim. Das sind Menschheitsfragen, die sich fast jedem von uns in seinem Lebenslauf mal stellen.
Ihre Objekte verstecken sich nicht.
Genau, sie sind dominant, sie erzählen eben eine Geschichte.
Das Thema der Aufarbeitung ist eines, in dessen Prozess auch das Kunsthandwerk selbst steht.
Ja, diese Abtrennung von den freien Künsten ist ein fast unlösbarer Streit. In Deutschland ist die Diskussion jung, in England gibt es das ja gar nicht. Das Problem ist das Abdrängen der Frauen ins Kunsthandwerk. Kunsthandwerk ist ein frauenpolitisches Thema. Auch im Kunstbereich sind die Männernetzwerke einfach sehr stark, und der Kunstmarkt tut sein Übriges dazu. Dabei ist es eine Demokratisierung der Kunst, wenn Gebrauchsgegenstände bedeutsam sind. Dafür braucht es kein Museum. Das passiert im eigenen Haus.